Giuseppe (48)
Giuseppe – Schweizer mit italienischen Wurzeln – trägt zwei Cochlea-Implantate, spricht vier Sprachen und plant nach drei Ausbildungen den nächsten beruflichen Schritt nach vorne.
Kindheit und Jugend
Giuseppe wurde hörend geboren, aber hat sein Gehör nach einer Hirnhautentzündung im Alter von sechs Monaten fast ganz verloren. Seine ersten Hörgeräte bekam er erst mit sechs Jahren: viel zu spät, um sprachlich und sozial Anschluss zu finden. So hielt man es für das Beste, den schwerhörigen Jungen im muttersprachlichen Milieu aufwachsen zu lassen: Giuseppe kam in ein Internat in den Abruzzen.
Es waren keine glücklichen Internatsjahre. «Die Nonnen», erinnert sich Giuseppe, «haben uns Kinder regelmässig geschlagen. Ohne Grund.» Der damalige Kindsmissbrauch hat Spätfolgen. Giuseppe hat heute noch mit Panikattacken zu kämpfen.
Auch die heilpädagogische Betreuung war miserabel; niemand hatte Erfahrung mit einem schwerhörigen Kind. Da brachte auch der Wechsel in ein Internat im Piemont keine wesentliche Verbesserung. Wenig verwunderlich, dass Giuseppe seine erste Ausbildung nach der Schule (an einer italienischen Hotelberufsfachschule) aufgrund seines Hörproblems hat abbrechen müssen.
Giuseppe kehrte 1989 in die Schweiz zurück und begann, intensiv Deutsch zu lernen. Nebenbei jobbte er als Kochgehilfe. Schon nach drei Jahren hatte er sein Deutsch-Zertifikat in der Tasche. Sprachen liegen ihm. Giuseppe spricht Italienisch, Deutsch, Französisch und Englisch.
Die Wende
Über die IV gelangte Giuseppe 1992 an die Berufsfachschule für Lernende mit Hör- und Kommunikationsbehinderung (BSFH) in Zürich-Oerlikon. Zum ersten Mal erfuhr er alles Wesentliche über Hörverlust, Schwerhörigkeit und die Gehörlosenkultur.
Giuseppe lernte die Gebärdensprache (die seine Eltern rigoros abgelehnt hatten) und schloss seine Ausbildung zum Koch erfolgreich ab. Daran hängte er noch eine Ausbildung zum Diätkoch und die Berufsprüfung als Gastronomiekoch mit eidgenössischem Fachausweis. Die Ausbildungsjahren eröffnen Giuseppe eine neue Welt, gleichzeitig findet er seinen Lebenspartner.
Ziele verfolgen
Doch sein Restgehör schwindet im Laufe der Zeit massiv. Guiseppe entscheidet sich 2020 für zwei Cochlea-Implantate. Trotz Corona bringt er beide Operationen im Abstand von sechs Monaten hinter sich. Danach Hörtraining. Anderthalb Jahre lang begleitet ihn eine Audioagogin von Pro Audito sehr intensiv.
«Am Anfang hatte ich grosse Schwierigkeiten, Geräusche zu unterscheiden. Vogel oder Glocke? Zudem habe ich praktisch nichts verstanden», lässt Giuseppe die harte Zeit Revue passieren. Heute ist alles einfacher: «Mit den CIs ist die Hörqualität besser und ich spreche deutlicher. Ich trage sie immer, beruflich und privat.»
Eine weitere Erleichterung: Über Pro Audito lernt Giuseppe das Schriftdolmetschen kennen. «Bei Arztbesuchen oder wichtigen Gesprächen bin ich froh, wenn ich nachlesen und mich darüber vergewissern kann, alles verstanden zu haben.» Zudem ist das Schriftdolmetschen entscheidend für sein nächstes Ziel. Giuseppe will Lebensmitteltechnologie studieren.
Erfüllung finden
Giuseppe bewohnt zusammen mit seinem Partner eine heimelige Altstadtwohnung in Fribourg. Sie teilen die Liebe zur Musik, besuchen Opern und Kirchenkonzerte. Daneben ist Guiseppe oft in Biel, bei der Familie seines Bruders, und verbringt gerne Zeit mit dessen Kindern.
Wenn dann noch Zeit bleibt, lebt Giuseppe seine künstlerische Seite aus. «Wir haben einen Zuckerkurs bei einem berühmten Konditor in Frankreich besucht. Davon habe ich viel mitgenommen», erklärt Giuseppe bescheiden. Seine essbaren Zuckerskulpturen sind indes veritable Kunstwerke, ein bisschen kitschig-barock und voll kindlichem Charme.
Giuseppe ist ein reifer Mann, aber es steht ihm gut an, auch dem Kind in sich Raum zu geben. Dem Kind, das einst schwerhörig in die Abruzzen «verbannt» wurde. Es hat seinen Weg gemacht hat, gegen alle Widerstände.
Steckbrief
Giuseppe
hat als Baby nach einer Meningitis sein Gehör fast ganz verloren.
Zuhause
ist Giuseppe in einem verwinkelten Haus in der Altstadt von Fribourg.
Beruflich
nimmt sich der gelernte Koch Grosses vor: Giuseppe will Lebensmitteltechnologie studieren.
Hobbies
Giuseppe geniesst klassische Musik und arbeitet gerne an Zuckerskulpturen.
Lebenserfahrung
«Ich muss für meine Interessen einstehen. Sonst macht es keiner.»
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