Edith (79)
Schwerhörige Kinder wurden früher mit ihrem Problem häufig allein gelassen. Das kostete die kleine Edith einmal fast das Leben. Wie sie es trotzdem meisterte, erzählt die heute 79-Jährige.
Schwimmunterricht in der Schule. Die kleine Edith springt vom Sprungbrett. «Unter Wasser habe ich komplett die Orientierung verloren», erinnert sich Edith. «Ich war am Ertrinken. Nur die Geistesgegenwart des Schwimmlehrers rettete mir das Leben. Und danach hatte ich schreckliche Ohrenschmerzen!»
Ein Loch im Trommelfell
Kein Wunder: Der Ohrenarzt entdeckte ein Loch im rechten Trommelfell. Daher auch die häufigen Mittelohrentzündungen. Und die Mühe, im Unterricht dem Diktat zu folgen. Der Arzt verpasste ihr ein Tauchverbot – und liess sie mit ihrem Hörproblem allein.
Erst mit knapp zwanzig Jahren erhält Edith eine Behandlung: eine chirurgische Wiederherstellung des Trommelfells, eine sog. Tympanoplastik. Das Trommelfell hat bis heute gehalten, aber verschlechtert hat sich ihr Gehör trotzdem. Und dies massiv.
Eine schwerhörige Personalleiterin?
Als 45-Jährige versteht Edith in Sitzungen oder Vorträgen kaum noch etwas. Eine dermassen schwerhörige Personalleiterin kann sich die Stadt Winterthur nicht mehr leisten: Edith muss zum Ohrenarzt und bekommt – endlich! – Hörgeräte.
«Damit ist es frappant besser gegangen», erinnert sich Edith. «Vor allem im Beruf haben mir die Hörgeräte sehr geholfen.» Alle paar Jahre bekommt Edith stärkere Hörgeräte; wegen ihres schweren Hörverlustes zum Glück mit Kostenbeteiligung der IV.
Schwindel: «Wie seekrank»
Edith führt ein ausgefülltes Leben. Sie gründet eine Familie und macht eine Zusatzausbildung als Reiseleiterin. «Mein Alltag war vollgepackt, aber ich fand regelmässig Zeit, den Glacier-Express von Chur nach Zermatt zu begleiten.»
Die Entzündungen im Ohr bleiben ihr allerdings erhalten. Und hinzu gesellt sich ab Mitte fünfzig ein Lagerungsschwindel: «Wenn ich den Kopf hin und her bewege, werde ich praktisch seekrank. Die Übelkeit erfasst den ganzen Körper.» Edith verzichtet auf Flugreisen und gibt das Autofahren auf.
2019: Hörsturz auf beiden Ohren
«Eines Morgen wache ich auf – und es herrscht absolute Stille. Zuerst habe ich gar nicht so recht begriffen, was los war. Dann aber, nachdem ich die Hörgeräte drin hatte, erkannte ich den Ernst der Lage und ging schleunigst zum Arzt.» Edith hatte Glück: Durchblutungsfördernde Medikamente halfen, und das Gehör kehrte schon am zweiten Tag zurück.
Von der Lippenleserin zur Co-Präsidentin
Vor einigen Jahren stiess Edith zufällig auf eine Anzeige von Pro Audito: Lippenlesen. Sie geht in Kurse, wird Mitglied und schliesslich Co-Präsidentin von Pro Audito Winterthur. Die Arbeit im Verein wird zu ihrem neuen Hobby. Sowie das Lippenlesen, von dem sie sagt: «Man muss es fleissig üben und immer wieder auffrischen.»
Über ihr Gehör macht sich Edith keine Illusionen: «Ich muss schauen, wie es weiter geht. Ich habe nur noch wenige Prozent Gehör, und es wird weiter abnehmen.» Ob sie ein Implantat in Erwägung gezogen hat? Sicher, aber sie hat ernste Bedenken: «In meinem Alter ist jede Operation ein Risiko, und vor allem habe ich Sorge wegen des Schwindels. Solange es geht, mache ich lieber nichts.»
Und es geht. Edith geniesst ihr Leben. «Ich sehe das Glas halb voll statt halb leer. Schliesslich ist alles Einstellungssache.»
Steckbrief
Edith
ist von klein auf schwerhörig. Ihr Loch im rechten Trommelfell wurde erst nach Jahren chirurgisch behandelt. Sie trägt beidseits Hörgeräte.
Schwindel
Kopfbewegungen verursachen Edith Übelkeit. Sie hat deswegen das Autofahren aufgegeben.
Ehrenamtlich
engagiert sich Edith als Co-Präsidentin von Pro Audito Winterhur.
Lippenlesen
Edith fand über das Hörtraining mit Lippenlesen zum Verein. «Lippenlesen», sagt sie, «muss man üben und regelmässig auffrischen.»
Lebensmotto
«Ich sehe das Glas halb voll statt halb leer. Schliesslich ist alles Einstellungssache.»
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