
Alex (38)
Im Notfall des Stadtspitals Zürich Triemli herrscht oft hektischer Betrieb. Mittendrin: Alex, ertaubt und beidseitiger CI-Träger, mit anderen Worten: ein Ausnahmefall.
Es begann im Sommer 2016. Pflegefachmann Alex war damals 29. Sein Gehör wird schlechter, merkt er. Dann platzen seine beiden Trommelfelle; Flüssigkeit läuft aus den Ohren. Erst vermutet man eine Mittelohrentzündung. Doch die weiteren Untersuchungen führen zu einer lebensverändernden Diagnose: Polyangiitis mit Granulomatose, auch bekannt als Morbus Wegener.
Rheuma im Ohr?
Die Polyangiitis mit Granulomatose zählt zu den Vaskulitiden (Entzündungen der Blutgefässe), die in die grosse Gruppe der rheumatischen Erkrankungen fallen. Dabei kommt es zu granomulatösen Entzündungen, das heisst, es bilden sich knötchenartige Zellansammlungen (Granulome). Diese waren bei Alex vom Nasenraum ins Innenohr gewuchert und hatte sein rechtes Ort ertauben lassen.
Fieberhaft versuchen die Ärzte, wenigstens das linke Ohr zu retten. Sie verabreichen Alex vier Wochen lang entzündungshemmendes Cortison intravenös, doch ohne Erfolg. Stattdessen stellen sich Cortison-Nebenwirkungen ein wie Bluthochdruck und Prä-Diabetes.
Alex leidet. Die Krankheit drückt auf sein Gleichgewichtsorgan. Schwindel und Übelkeit fesseln ihn ans Bett. Dann die Wende: Das richtige Medikament kann die autoimmunen Entzündungsprozesse blockieren. Alex beginnt, sich zu erholen. Auf dem linken Ohr bleiben ihm zwanzig Prozent Restgehör.
Total isolierend
Wie ist das, in so kurzer Zeit zu ertauben? Für Alex war es, wie wenn eine Käseglocke über ihn gestülpt worden wäre. «Man hört nichts mehr, und dann redet man auch nicht mehr. Das war das Schlimmste für meine Familie und mich. Wir sind nebeneinander gesessen und haben uns geschrieben. Kein Augenkontakt mehr. Dadurch habe ich etwas sehr Persönliches verloren.»
Der Hörverlust trifft einen kommunikativen Menschen wie Alex hart. Umso schneller entscheidet er sich für eine CI-Lösung. Die Rehabilitation nach der OP ist nicht ganz einfach, aber nach einem Jahr erfolgreich.
Doch kaum hat sich Alex mit der neuen Hörsituation arrangiert, erleidet er im linken Ohr einen Hörsturz. Plötzlich hörte er sich nicht mehr atmen. Das Restgehör war weg. Es folgt die zweite CI-Operation.
Zurück in den Beruf oder vorwärts zum Traumjob?
Die Wiedereingliederung in den Pflegeberuf glückt, aber Alex merkt, dass er sich beruflich verändern möchte. Wofür schlägt sein Herz? Was will er wirklich? Überraschenderweise zieht es ihn in den Notfall, wo manchmal Hektik, eine laute Geräuschkulisse sowie ein gewisses Infektionsrisiko herrschen (und dieses ist für ihn erhöht, weil seine medikamentöse Therapie das Immunsystem unterdrückt).
Alex startet seine Ausbildung als Experte Notfallpflege und wird nach erfolgreich bestandener Prüfung übernommen. Heute arbeitet er in einem 90-Prozent-Pensum im Stadtspital Zürich Triemli.
Er macht alle Neuen im Team auf seine Hörhilfen aufmerksam. «Wenn jemand mir regelmässig im Vorbeilaufen etwas zuruft, ohne mich dabei anzuschauen, suche ich das Gespräch.» Auch im Schockraum sind alle sensibilisiert. Es gilt die Kommunikationsregel: Nur einer redet. Das ist für alle von Vorteil.

Alex: «Wenn man parat ist, seine Mitmenschen zu sensibilisieren, kommt meist sehr viel Entgegenkommen.» – Fotos: Patrick Lüthy für Pro Audito.
Was sagt seine Partnerin?
Ein Jahr nach der zweiten CI-Operation lernt Alex Pascale kennen. Sie heiraten und gründen eine Familie. Für Pascale war die Höreinschränkung ihres Mannes nie ein Problem, im Gegenteil, sie bewundert, wie er den Alltag meistert: «Er könnte häufig einfach sagen, dass ich alleine gehen solle, zum Beispiel mit den Kindern schwimmen. Ich würde das verstehen. Aber er kommt trotzdem mit, und es geht dann schon.»
«Warum gerade ich?»
Gegen seine autoimmune Grunderkrankung muss Alex täglich ein Medikament schlucken und regelmässig zur Antikörper-Therapie per Infusion. Die Krankheit wird ihn lebenslang begleiten und im schlimmsten Fall seine Todesursache sein, denn man weiss zu wenig über die Langzeitfolgen der medikamentösen Therapie.
Ab und zu fragt sich Alex, warum es gerade ihn getroffen hat. Dann münzt er die Frage um: «Warum es mich getroffen hat, ist nicht wichtig. Wichtig ist: Was mache ich draus?»
Steckbrief
Alex
trägt beidseitig ein CI.
Beruflich
ist er als Experte in Notfallpflege tätig.
Gesundheitlich
hat er seine Autoimmunerkrankung medikamentös unter Kontrolle.
Zuhause
geniesst er das Familienleben mit Frau Pascale und zwei Kindern.
Seine Einstellung
«Warum es mich getroffen hat, ist nicht wichtig. Wichtig ist: Was mache ich draus?»
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