Kolumne: Hans Schneeberger schreibt “Never give up!”

Freitag, 10. Oktober 25

Der Kampf gegen das behindert werden, ist ein langwieriger, oft ein lähmender. Und einer, bei dem es meistens keinen Gegner gibt.

„Wir lassen uns nicht behindern!“ „Es sind die anderen die uns behindern, nicht das Leben“. Markige Sprüche, aus gut gemachten NGO-Inseraten. Und dann sieht man Menschen, ohne Arme, die sich schminken, die Nachtessen zubereiten oder einen Marathon absolvieren. Die Bilder sollen Mut machen, Zuversicht verleihen, beweisen, dass Menschen mit Behinderungen fast alles können, wenn man sie nur lässt.

Die Realität ist meist etwas komplexer…

Alle rundherum sind immer bemüht, uns Menschen mit Schwerhörigkeit nicht zu behindern, uns am Leben teilhaben zu lassen. Aber diese guten Vorsätze haben ihre Halbwertszeiten, ihre Hindernisse. Sie schleifen sich an den Realitäten, am Leben, ja sogar an unserem nachlassenden Kampfgeist ab.

Ich war kürzlich wieder mit meinen sechs Freunden auf Reisen

Wir begleiten uns gegenseitig seit unserem Studium vor 40 Jahren durchs Leben. Wir kennen uns, schätzen uns, wissen alles vom anderen. Wir können den Satz beenden, bevor es der andere tut. Wir lachen, bevor der Witz fertig ist, weil wir ihn selbstverständlich schon gehört haben. Vertrautheit eben. Und dann gibt es immer wieder diese Situationen. Das Bier in der Hand, alle in einer fremden Stadt am Tresen einer Bar. Man lacht, albert, diskutiert über dies und jenes. Und du: Würdest gern was sagen zu einem Thema. Du hast etwas zuvorderst auf der Zunge. Aber du dringst nicht durch. Keiner hört dich. Du kommst nicht zu Wort. Weil sich das so eingeschliffen hat. Weil man sich daran gewöhnt hat, dass du als Mensch mit Schwerhörigkeit in solchen Situationen den Diskussionen nicht wirklich folgen kannst. Und weil es für dich halt oft etwas anstrengend ist, sich immer wieder ins Thema einzubringen, sich Gehör zu verschaffen. Und so tappst du langsam, langsam Richtung Peripherie. Du bist noch da. Aber irgendwie immer weniger.

Die Gruppe hat sich daran gewöhnt, dass du aussen vor bist

Dass du eigentlich nur noch in Zweiergesprächen mitmachst. Dann, wenn dich einer anschaut und du ihn verstehst. In der grossen Runde bist du irgendwie schon lange nicht mehr existent. Es ist schmerzhaft, dies ab und an wieder zu realisieren. Und es ist beileibe kein schlechter Wille! Von niemandem. Es schleicht sich halt einfach so ein. Weil du selbst nicht folgen kannst, manchmal auch nicht folgen willst.

Gegen Widerstände anzukämpfen, ist oft schwerer, als es in gut gemeinten Inseraten aussieht. Und es ist ein langer, anspruchsvoller Weg, der nie wirklich zu Ende ist. Und eigentlich gibt es nur ein Rezept: Das tägliche Ringen um Integration, um Inklusion nie aufzugeben. Auch wenn man zu faul, zu schlapp oder zu introvertiert ist. Damit man nie – langsam, langsam – an den Rand getrieben wird.

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Wer ist Hans Schneeberger? 

Hans Schneeberger war 14 Jahre Chefredaktor des Migros-Magazins, ist heute frühpensioniert, Weinautor und lebt in Aarau. Er trägt seit über 20 Jahren Hörgeräte und schreibt als Kolumnist für das Pro Audito Magazin Dezibel.

 

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