Inga: “Man muss freundlich mit sich sein”

Donnerstag, 02. Oktober 25

Inga, Anfang 40 und seit der Kindheit fast taub, fragt sich: Wie bleibst du du selbst, wenn deine Behinderung dich ständig herausfordert, dich anzupassen?

«Ich bin in den 1980er Jahren in der Nähe von Köln aufgewachsen. Dass ich schlecht höre, haben meine Eltern gemerkt, als ich zwei Jahre alt war”, sagt Inga über sich. Mit zweieinhalb bekommt sie dann ihre ersten Hörgeräte: «Schön gross, schön rot, damit man sie auch sieht», scherzt Inga. «Ich wurde also schon früh mit der Frage konfrontiert «was hast du da?’. Sicher eine gute Übung fürs Leben, aber natürlich auch manchmal sehr nervig.»

Zweimal studieren

Die Eltern bauen den bestmöglichen Förderweg in den Familienalltag ein und im örtlichen Kindergarten und auch in der Schule kommt Inga gut zurecht. Nach dem Abitur entscheidet sie sich für ein Studium und hat nach drei Jahren ihren Bachelor in «Online Redaktion» in der Tasche.

Wie lief das so, im Studium, mit der Schwerhörigkeit? «Naja, ich kann nicht wirklich sagen: ‘Wie schade, nur drei Jahre – es war so schön’. Das fand ich nicht! Es brauchte so viele Ressourcen. Das wird immer unterschätzt. Ich meine: Der Moment, wo du in der Vorlesung sitzt und der Lehrperson das Mikro abgibst, der ist so trivial im Gegensatz zu allem, was vorher oder nachher passiert. Das war schon sehr mühsam. Es ging immer nur darum, dass man sich irgendwie anpasst, dass man niemandem zur Last fällt, und dass man trotzdem Leistung bringt.» Trotzdem entscheidet sich Inga für eine zweite Runde. Ein Studium als Umweltingenieurin an der ZHAW in Wädenswil. 

Erfolgreich im Beruf

Sechs Jahre studiert sie, und gründet nebenbei eine Familie. Über Umwege gelangt sie dann zuerst zum Theaterhaus Gessnerallee in Zürich und übernimmt schliesslich das Netzwerkprojekt ‘IntegrART’, mit dem das Migros-Kulturprozent seit 2007 inklusive Bühnenkunst fördert.

«Heute heisst das Projekt ‘disframe’», erklärt Inga, und ihre Augen leuchten, als sie mehr über ihre Arbeit berichtet: «Gemeinsam mit einer künstlerischen Co-Leitung und einer Programmgruppe präsentieren wir selbstbestimmte Bühnenkunst von Menschen mit Behinderungen und / oder chronischen Erkrankungen an verschiedenen Theatern und Festivals in allen Landesteilen der Schweiz.»

Die Bedingungen beim Migros-Kulturprozent sind gut. Aber auch ein möglichst barrierearmes Umfeld kann den Mehraufwand nicht wegzaubern, den Inga in der Kommunikation mit ihren Kolleg:innen bringen muss. «Ich merke schon, dass ich mit meinen Ressourcen limitiert bin. Und ich stehe immer unter dem Druck des ‘trotzdem’. Ich bin leistungsfähig, trotz der Hörbehinderung, und will auch zeigen, dass das möglich ist. Und gleichzeitig will ich das gesellschaftliche Konstrukt von ‘nur wer viel leistet ist auch viel wert’ nicht verstärken. Es ist herausfordernd und befeuert unter Umständen auch einen Burnout. Das muss man sich auf jeden Fall bewusst machen. Und man muss freundlich mit sich sein», findet Inga.

Wie findet Inga die Balance zwischen dem anspruchsvollen Job und der fünfköpfigen Familie? Lesen Sie den ganzen Artikel im aktuellen Dezibel

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