Künstliche Intelligenz im Hörgerät – was bringt’s?

Dienstag, 18. November 25

Bild: Gemini (KI)

Helga Velroyen, auch bekannt von ihrer Kolumne im Magazin Dezibel, war – wie auch Pro Audito – beim EUHA 2025. Ihre persönliche Mission: Gespräche mit Hörgeräte-Herstellern, um herauszufinden, was Künstliche Intelligenz (KI) im Hörgerät  für die Kund:innen wirklich bringt. Lesen Sie hier Ihre Einschätzung.

Es gibt zwei relevante Arten von KI-Systemen. Die erste Art kann etwas generieren, wie zum Beispiel ChatGPT. Wesentlich interessanter für Hörgeräte ist allerdings die zweite Art. Sie kann etwas klassifizieren, das heisst:

  • Eine Geräuschsituation einordnen (bin ich gerade auf einer lauten Familienfeier oder sitze ich in der Oper?) und das passende Hörprogramm auswählen.
  • Hintergrund- und Vordergrundgeräusche sowie relevante Sprecher identifizieren
  • Verschiedene Parameter innerhalb eines Hörprogramms selbständig optimieren.

Das sagen die Hersteller beim EUHA zu KI in ihren Hörgeräten

Ein Überblick in alphabetischer Reihenfolge:

  • AudioService verwendet KI schon lange für die Situationserkennung, aber auch um die Stimme der Trägerin / des Trägers zu erlernen und damit zu erkennen, an welchem Gespräch er oder sie gerade teilnimmt. Die KI Nutzung führt nach eigenen Angaben zu mehr Stromverbrauch.
  • Oticon verwendet KI, um Störlärm zu erkennen. Stromverbrauch ist ein Problem, weshalb sie die längste Akkulaufzeit mit nur 30 Stunden angeben.
  • Phonak setzt den Fokus stark auf KI und insbesondere so genannte ‘tiefe neuronale Netze’ (DNNs = Deep Neural Networks). Sie verwenden sie zur Situationserkennung und zum Erkennen von Sprache im Störgeräusch. Wegen des hohen Stromverbrauchs schalten sich die KI-Algorithmen nur in schwierigen Situationen ein und haben ein Limit von 9-11 Stunden. Die maximale Akkulaufzeit wird mit 56 Stunden angegeben. Auch hat Phonak erkannt, dass DNN-Chips mehr Spannung brauchen als manche Batterien schaffen und bietet daher ihre KI-Geräte nur in der Akkuvariante an.
  • Resound nutzt zwar KI-Algorithmen, findet aber, dass sie nur in schwierigen Situationen (die ca. fünf Prozent der Trage-Zeit ausmachen) nötig sind. Sie überlassen es dem Nutzer / der Nutzerin, sie in der App explizit anzuschalten.

 

  • Signia belässt es vorerst bei den etablierten Algorithmen (die KI enthalten mögen, aber nicht explizit DNNs erwähnen). Das Problem der Spannungsspitzen adressieren sie (leider) ebenfalls damit, in den neuen Produktreihen nur noch Akkugeräte auf den Markt zu bringen. Insgesamt stellt Signia Künstliche Intelligenz weniger in den Fokus als andere Hersteller.
  • Starkey nutzt KI und insbesondere DNNs vor allem zur Situationserkennung. Sie haben einen neuen Chip entwickelt, der die DNN-Nutzung und die klassischen Signalverarbeitungsalgorithmen vereint. Dieser Chip verbraucht sogar weniger Strom als die Vorgänger (selbst mit DNN-Nutzung), weshalb Starkey weiterhin auch Batterie-Geräte anbietet. Ausserdem hat Starkey auch generative KI in ihre Produkte integriert (z.B. eine Transkriptionsfunktion, die das Gehörte in Text umwandeln soll).
  • Widex setzt explizit auf DNNs, die verschiedene “Soundobjekte” in der Umgebung – also nicht nur die Stimme des Gegenübers – erkennen sollen. Besonders ist: Die Widex KI kann auch nach Auslieferung noch lernen, zum Beispiel kann der Algorithmus sich die individuellen Einstellungen des Trägers / der Trägerin merken. Auch Widex bringt nur noch Akkugeräte mit KI auf den Markt.

Fazit

Ohne es bisher selbst getestet zu haben, ist es schwer, einzuschätzen, wieviel die KI in Hörgeräten wirklich bringt. Ich denke in der Signalverarbeitung hat sie ihre Existenzberechtigung und kann sehr gute Ergebnisse erzielen. Meine Empfehlung: Wer sich neue Hörgeräte zulegen will, sollte die KI-Eigenschaften neugierig ausprobieren, aber nicht überbewerten. Insbesondere ist ausgiebiges Testen in verschiedenen Hör-Situationen ratsam. Die neu angepriesenen KI-Algorithmen allein machen nicht per se alles besser, andere Algorithmen haben nach wie vor ihre Daseinsberechtigung.

Wer ist Helga Velroyen?

Das bin ich, Helga. Ich bin Anfang 40, verheiratet und wohne in München. Ich bin schwerhörig und seit 2008 Hörgeräteträgerin. Als ich meine ersten Hörgeräte bekam, habe ich viele Dinge übers Hören und die Geräte nicht gewusst, die ich im Nachhinein gerne gewusst hätte. Damit es anderen nicht so geht wie mir damals, habe ich einen Blog (www.doofe-ohren.de) ins Leben gerufen und schreibe als Kolumnistin für das Magazin Dezibel von Pro Audito. In meinem „richtigen“ Leben bin ich Software-Entwicklerin bei Google.

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