Thomas (65)
Wie er sein Hörproblem ein Leben lang verdrängt und ohne Hörgeräte eine internationale Karriere gemacht hat, ist kaum zu glauben. Ein Bericht aus dem Centovalli.
Pink Floyd in voller Laustärke, mit Kopfhörern: Thomas hat seinem Gehör schon als Teenager schweren Schaden zugefügt. Bei der Eignungsuntersuchung fürs Militär rät man ihm dringend, einen Hörakustiker aufzusuchen, schon gegen 70 Prozent betrage sein Hörverlust. «Ich bin natürlich nie gegangen», schmunzelt Thomas.
Verdrängen und durchschlängeln
Thomas absolviert in Paris die Pantomimenschule. Seine künstlerische Heimat findet er dann im zeitgenössischen Tanz und Tanztheater. Seine Karriere führt ihn nach London und New York. Über vier Jahrzehnte arbeitet er freischaffend und stellt mit Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt eigene Projekte auf die Beine.
Dabei gelang es ihm, sein massives Hörproblem erfolgreich zu verdrängen und sich beruflich durchzuschlängeln. Das war nur im «Physical Theatre» möglich: Thomas liest die Körpersprache. Er spürt intuitiv, was andere mitteilen.
Zunehmende Missverständnisse
Was lange gut geht, wird ab 60 zum Problem. Ständig muss Thomas die Hand ans Ohr halten. Es gibt immer mehr Missverständnisse, entgeisterte Blicke in Workshops.
Auch privat ist er mit seiner Verdrängungstaktik am Ende. Seine Lebenspartnerin nervt sich, wenn er die Musik voll aufdreht oder sie ihm ganze Spielfilme «synchronisieren» muss.
Endlich vereinbart er einen Termin beim Akustiker. Dieser ermittelt einen Hörverlust von fast 80 Prozent und empfiehlt Im-Ohr-Höreräte, die beim Tanzen nicht stören.
Das Problem: Im-Ohr-Geräte sind teuer für einen freischaffenden Künstler, der sich jüngst verschuldet hat, um ein Filmprojekt in der Ukraine mitzufinanzieren. Die IV weist den Härtefall-Antrag ab. Zum Glück schlägt ihm eine Luzerner HNO-Ärztin vor, bei Pro Audito anzufragen. Die Gutsprache aus dem Fonds der Irma-Wigert-Stiftung ist eine Riesenerleichterung.
Verdrängung schlägt um in Begeisterung
Schwieriger ist es, sich an die Fremdkörper im Ohr zu gewöhnen. In den ersten Tagen schafft es Thomas kaum, die Geräte eine Stunde drin zu lassen. Er empfindet die normale Geräuschkulisse als unerträglich.
Der Akustiker findet die überzeugenden Worte: «Viele sagen mir, ‹ich brauche eigentlich kein Hörgerät›, und daneben steht ein Angehöriger, der nur noch die Augen verdreht.»
Thomas kapiert. Und nach drei, vier Woche wird es langsam besser. In der fünften Woche kommt der Durchbruch. Thomas: «Ich höre Dinge, die ich mein Leben lang nicht gehört habe! Alltagsgeräusche, die Vögel. Und im Theater ganze Texte.»
Bei Thomas ist die Verdrängung in dankbare Begeisterung umgeschlagen: «Die Hörgeräte haben mein Leben verändert. So viel mehr Lebensqualität! Und beim Tanzen sind sie mir noch nie rausgefallen!»
Steckbrief
Thomas
hat einen Hörverlust von 80 Prozent.
Beruflich
war er vierzig Jahre lang freischaffender Pantomime, Tänzer und Regisseur.
Seine Karriere
führte ihn von Paris nach London und New York.
Zuhause
ist Thomas nun in einem kleinen Tessiner Bergdorf.
Sein Traum
Eine Welt ohne Grenzen.
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