Tanja (23)
Tanja ist eine starke Frau, die weiss, was sie will und was nicht – zum Beispiel, diskriminiert und ausgegrenzt zu werden. Sie wurde gehörlos geboren, doch merkte lange Zeit niemand, dass sie nicht hören konnte. Ihr Cochlea-Implantat gab ihr das «Hören» ein Stück weit wieder zurück.
«Ich wurde gehörlos geboren. Dass ich nicht hören konnte, merkte man erst, als ich vier Jahre alt war.» Tanja ist heute 22, klein, schlank, temperamentvoll, fröhlich. Vor allem aber glücklich darüber, mit ihrem Cochlea-Implantat (CI) hören und verstehen zu können.
Mobbing in der Schule
Im Kindergarten war Tanjas Hörproblem kein Thema. Das Mobbing begann erst in der Schule. Ihr Lehrer hatte eine FM-Anlage, sodass Tanja ihn verstehen konnte. «Doch wenn 25 Schülerinnen und Schüler durcheinanderreden, ist der Lärmpegel dermassen hoch, dass ich heillos überfordert bin. Zudem wurde ich gemobbt, weil mich der Lehrer scheinbar bevorzugte. In der vierten Klasse wollte ich unbedingt die Schule wechseln. Ich habe es nicht mehr ausgehalten.»
Das erste CI
Es war die Zeit, in der Tanja nach einem Hörsturz, im Alter von 12 Jahren, ihr erstes CI erhalten hatte und dazu eine Hör-Therapie. Anfänglich trug sie neben dem CI noch ein Hörgerät. «Aber das war sehr stressig. So habe ich auf das Hörgerät verzichtet.» Von ihrer Logopädin erfuhr sie vom Heilpädagogischen Zentrum Hohenrain, einer Schule für schwerhörige Kinder. Da wollte sie hin.
Die Eltern hatten zwar Bedenken. Doch für Tanja war Hohenrain ein Glücksfall. Sie wechselte zu Beginn der 6. Klasse. Danach entschied sie sich für eine Lehre als Logistikerin in einem Schweizer Versandzentrum in Entlebuch. Hier war ihr Vater gleichzeitig ihr Chef. «Alle hatten Verständnis für mein Handicap», so Tanja. «Das war eine gute Zeit.»
Die Berufsschule
«Weil ich temperamentvoll bin und mir alles etwas zu langsam vorwärtsging, wollte ich die normale Berufsschule besuchen. Es war schwierig, aber der Berufsschullehrer hat mich sehr unterstützt. Er machte Zusammenfassungen und erklärte mir zusätzlich, was ich nicht verstanden hatte. Bei meinen Mitschülern ist das nicht gerade auf Goodwill gestossen. Sie hatten Vorurteile und konnten nicht nachvollziehen, wie es ist, taub zu sein und nur mit einem CI hören zu können.»
Im dritten Lehrjahr änderte sich vieles zum Guten. «Plötzlich hatte ich nur noch junge Männer in meiner Klasse. Sie hatten kein Problem mit mir und meinem Gehör.» Tanja schloss die Lehre und die Logistikschule mit der guten Note 4,8 ab.
Diskriminierung bei der Jobsuche
Tanja fand nach vielen Bewerbungen und Absagen eine Stelle als Logistikerin bei einer grossen Transportfirma. Als sie nach anderthalb Jahren neue berufliche Erfahrungen machen wollte, erhielt sie erst nach 44 Absagen eine neue Chance bei einem internationalen Klima- und Fertigungstechnikkonzern.
Tanja konte sich die vielen Absagen nicht so recht erklären, merkte dann aber, dass es daran lag, dass sie schwerhörig ist. «Ich habe dies in den Bewerbungen immer offengelegt.» Dann änderte sie die Strategie, und plötzlich kamen Einladungen zu den Vorstellungsgesprächen. «Am Ende eines Bewerbungsgespräches erklärte ich jeweils, dass ich hörbehindert bin, und fragte, ob sie das bemerkt hätten. Alle verneinten. Und so erhielt ich meinen jetzigen Job.»
Es sind solche Dinge, die Tanja aufregen, weil sie diskriminieren. In ihrem Hörmanko sieht Tanja aber auch Positives, etwa, dass sie ihren Prozessor lediglich abnehmen muss, wenn sie Ruhe haben will. «Zudem habe ich die Gebärdensprache gelernt, die kann kaum jemand von den Hörenden.» Sprachbegabt ist Tanja ohnehin. Sie spricht gut Englisch und hat vor einiger Zeit mit einer Sprach-App sogar Kroatisch gelernt, die Sprache ihrer Mutter.
Freude und Hobbies
Tanja hat innere Stärke, setzt sich durch und engagiert sich. Ihre Kolleginnen und Freunde kommen sowohl aus der hörenden wie aus der nichthörenden Welt. Wichtig ist es ihr, einen guten Job und gute Freunde zu haben, gesund und geerdet zu sein. Wohl fühlt sich Tanja draussen in der Natur beim Spazieren oder beim Joggen. Schwimmen mochte sie schon immer gerne. Kürzlich spielte Tanja mit in der Freilichtaufführung «Vreni von der Weiermatt» in Wauwil. Und wenn ein Film untertitelt ist, geht sie auch ins Kino.
Steckbrief
Tanja
wurde gehörlos geboren und ist heute glücklich mit einem CI.
Zuhause
ist Tanja im Entlebuch. Sie hat zwei Geschwister.
Beruflich
ist Tanja als Logistikerin unterwegs. Ihr Traum ist aber, Schauspielerin zu werden.
Entspannung
findet Tanja in der Natur, beim Schwimmen oder Theaterspielen.
Lebensmotto
«Blick nach vorne! Die Vergangenheit ist Geschichte.»
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