
Stephanie (48)
Wie durch ein Wunder überlebt Stephanie mit 19 Jahren einen schweren Autounfall. Aber ihr Gehör trägt einen massiven Schaden davon. Heute kommt Stephanie gut zurecht, dank einem CI, einem Hörgerät und Zusatzmikrofonen.
«Zwei Wochen nach dem schweren Autounfall», erinnert sich die gebürtige Amerikanerin, «bin ich fast an akutem Lungenversagen gestorben. Damals gab es dafür noch keine Therapie. Dass die Ärzte in Detroit ein Team der Uni Michigan zu Hilfe holten, war meine Rettung.» Stephanie wurde an eine Art künstliche Lunge angeschlossen, eine Maschine, die damals erst noch in Entwicklung war: ECMO (Extrakorporale Membranoxygenierung).
Stephanie war eine der ersten, die ECMO überlebt haben. Damals war aber unbekannt, dass die bei der ECMO-Therapie eingesetzten Medikamente eine ototoxische Nebenwirkung haben, sie zerstören das Gehör. «Heute wird das in der Nachsorge beachtet», weiss Stephanie. «Aber bei mir hat man das schlicht noch nicht gewusst.»
Zurück ins Leben
Nach zwei Wochen ECMO und drei Monaten im Koma kämpft sich Stephanie langsam zurück ins Leben – und kehrt an die Uni zurück. Versorgt mit zwei hochleistungsfähigen Hörgeräten, macht sie ihren Abschluss in technischer Kommunikationswissenschaft. Und ihrem Hörverlust zum Trotz lernt sie Deutsch, weil sie an der Uni einen «gutaussehenden Schweizer» kennengelernt hat. Die beiden verlieben sich und ziehen als Paar durch die Welt: Tokio, Singapur, London, ehe sie sich der Kinder wegen 2007 in der Schweiz niederlassen.
Stephanie liebt Zürich. Mit ihren Freunden auf verschiedenen Kontinenten bleibt Stephanie dennoch in Kontakt. «Wir nutzen FaceTime, WhatsApp und so weiter. Deshalb ist die moderne Technik für mich sehr wichtig.» Auch beruflich ist Technologie ein Thema: Stephanie erstellt technische Dokumentationen.
Sich informieren, nachfragen, die Technik nutzen
Zum Interview mit Pro Audito hat Stephanie verschiedene Zusatzmikrofone mitgebracht. «Schwerhörige können von technischen Hilfsmitteln enorm profitieren», sagt sie. «Man muss einfach das richtige Gerät suchen, dann bringt es viel, besonders für Berufstätige.»
Stephanie glaubt fest an die Macht von Wissen und Informationen: «Es ist wahnsinnig, wie wichtig gute Informationen sind in unserem Leben. Wenn du die nicht bekommst, kannst du auch nicht so gute Entscheidungen treffen.»
Ein aktuelles Beispiel: Stephanie beim Hautarzt. Alle tragen eine Maske. Sie hat grosse Mühe, die Diagnose zu verstehen, und bittet darum, alles noch einmal aufzuschreiben. Sie erntet genervte Blicke. Unangenehm, aber sie weiss: «Hätte ich nicht insistiert, hätte ich zu Hause nicht googeln können, um herauszufinden, was ich machen muss, damit ich ein ähnliches Problem in Zukunft vermeide.»
Wie von aller Technik ist Stephanie auch vom Cochlea Implantat begeistert, das sie 2017 eingesetzt bekommt: «Ich hörte wieder Dinge, die ich seit 24 Jahren nicht mehr gehört hatte!» Doch nach der ersten Euphorie bekommt sie massive Probleme mit dem Sprachverständnis. Englisch und Deutsch wirbeln in ihrem Kopf wild durcheinander: lexical competition («Konkurrenz der Wörter»).
Stephanie musste die beiden Sprachen quasi trennen. «Fünf Monate lang habe ich mich voll auf meine Muttersprache konzentriert. Erst als ich mich im Englischen wieder sicherer fühlte, machte ich das Hörtraining auf Deutsch. Sobald ich die Sprachen richtig sortiert hatte, konnte ich auch die richtigen CI-Einstellungen machen lassen. Ungefähr im Februar 2020 hatte ich das geschafft.»
Hörtraining und Lippenlesen
Stephanie kommt zugute, dass sie seit 2008 Mitglied bei Pro Audito zug ist. Die Wochenendkurse «Hörtraining mit Lippenlesen für Berufstätige» helfen ihr sehr. «Das Verstehen muss man trainieren. Ich besuche ein- bis zweimal im Jahr einen Kurs. Da geht es nicht nur ums Lippenlesen, sondern es ist auch ein Gehirntraining.»
Ansonsten macht Stephanie – keine Überraschung – ihr Hörtraining am liebsten daheim auf dem Tablet. «Ich habe verschiedene Apps für Englisch und Deutsch und wähle gezielt aus, was ich verbessern will. Meine Grundfrage ist immer: Wieviel Zeit habe ich? Was ist mein Ziel? Und wie lange gebe ich mir, um dieses Ziel zu erreichen?»
«Es wäre für mich oft einfacher, mich zurückzulehnen, wenn ich nicht mehr mitkomme», sagt Stephanie. «Aber wenn ich mich ausklinke, schliesse ich mein Gegenüber aus meinen Gedanken aus. Das will ich nicht. Also strenge ich mich an, im Gespräch zu bleiben.»

Stephanie: «Die moderne Technik ist für mich sehr wichtig.» Fotos: Patrick Lüthy für Pro Audito
Steckbrief
Stephanie
überlebt mit 19 nur knapp einen Autounfall. Aber ihr Gehör bleibt dabei auf der Strecke.
Zuhause
Die gebürtige Amerikanerin liebt Zürich. Sie erlebt die Stadt als eine kosmopolitische Metropole.
Beruflich
Stephanie arbeitet in der Forschung & Entwicklung. Sie ist von Technik begeistert.
Lexical competition
Deutsch und Englisch lieferten sich eine Schlacht der Wörter im Kopf der CI-Trägerin.
Stephanie sagt:
«Wenn du erlaubst, dass dir Informationen verloren gehen, geht das an dein Selbstwertgefühl.»
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