
Regula (54)
Regula hat beruflich eine Odyssee hinter sich, aber ist heute auf einem guten Weg.
Als Tochter einer gehörlosen Mutter hat Regula das Lippenlesen intuitiv übernommen. Ansonsten wurde das Thema in der Familie totgeschwiegen. Regulas Probleme in der Schule wurden auf eine Konzentrationsschwäche geschoben.
Nach der KV-Lehre war Regula im kaufmännischen Bereich tätig und jettete zeitweilig als Reiseleiterin um den Globus. Das ging alles leidlich, aber im Alter von 40 Jahren war der starke Hörabfall nicht mehr zu leugnen. Der erste Hörtest ergab einen Hörverlust von 40%. Statt sich an Hörgeräte zu gewöhnen, quittierte Regula ihren damaligen Job beim Roten Kreuz und sattelte beruflich um. Weg vom Büro, weg vom Telefon.
Schwerhörigkeit, ein Sicherheitsrisiko
Regula findet eine Anstellung im Gefängnis. Sie begleitet die Insassen auf den Hof, bringt das Essen, nimmt Anliegen entgegen, froh, nicht mehr am Schreibtisch sitzen zu müssen.
Wenn da nur nicht die Telefonate mit dem Sicherheitsdienst wären. In den hohen Betonkorridoren zu telefonieren, ist für Regula schlicht unmöglich. Auch mit den Gefangenen durch die Luke zu kommunizieren, fällt ihr schwer.
Eines Tages rächt es sich, dass sie ihre Schwerhörigkeit beim Vorstellungsgespräch verschwiegen hat. Der Chef sieht ihr Hörgerät zu Boden fallen. Regula ist ein Sicherheitsrisiko. Sie muss gehen.
Hilfe finden, Hilfe annehmen
Die eingeschränkten beruflichen Perspektiven desillusionieren Regula. Sie fällt in ein Tief. Und glaubt, dass es in der Schweiz für Menschen mit einer Schwerhörigkeit einfach keine Anlaufstelle, keine spezifische Beratung gebe.
Die Wende bringt ein Tinnitus. Regula entwickelt ein beidseitiges Ohrgeräusch. Sie fühlt sich in der Tinnitus Klinik in Chur gut aufgehoben. Hier hilft man ihr und meldet sie bei der IV an.
Und dann stösst Regula im Internet auf den Pro Audito Verein in Luzern. Seit über sechs Jahren ist sie nun Mitglied und trifft sich regelmässig mit anderen berufstätigen Betroffenen in einer Gesprächsgruppe: «Das ist einfach das beste, der Austausch zwischen Gleichgesinnten mit ähnlichen Problemen.»
Über die IV gelangt Regula ins Job-Coaching und findet eine Anstellung als «Registration Officer» in einer Firma, die Sicherheitszertifikate im IT-Bereich vergibt. Hier kann sie ihre Stärken ausspielen: Genauigkeit und Konzentration.
Doch die Firma zügelt bald weg. Regula unternimmt einen neuen Versuch, beruflich Fuss zu fassen. Aber das versprochene Einzelbüro kriegt sie nicht, und die permanente Reizüberflutung zu vieren in einem Raum ohne Schallisolierung macht Regula krank.
Man kündet ihr zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, im ersten Lockdown (2020). Wie soll es weitergehen? Was auch immer die Zukunft bringt, eins ist Regula klar: «Ich werde nie wieder meine Schwerhörigkeit verschweigen. Es ist mir wichtig, dass ich da transparent bin.»
Transparenz statt Tabu
Transparenz ist Regulas Thema. Es macht sie verrückt, wenn Hersteller damit werben, dass ihr Gerät «kaum sichtbar» oder «diskret und unauffällig» sei. Also ob man sich für sein Hörsystem schämen müsste.
Regula wünscht sich, dass Hörgeräte oder CI so souverän getragen werden wir eine Brille: «Jahrelang habe ich meine Hörgeräte versteckt und meine Schwerhörigkeit verschwiegen, weil ich Angst hatte, meinen Job zu verlieren. Und das ist ja auch passiert. Ich kann also nicht sagen, dass die Angst unbegründet war. Trotzdem habe ich irgendwann gemerkt: Es hat Vorteile, wenn ich meine Schwerhörigkeit offen zeige. Dann hat mein Gegenüber die Chance, nachzufragen.»
Deshalb hat Regula angefangen, ihre Hörsysteme als modisches Accessoire zu nutzen. Fürs CI besitzt sie farbige Aufsätze. Auch das Hörgerät hätte sie am liebsten in Farbe und mit Schmuckelementen. Doch ihre Suche nach einem Juwelier, der ihre Wünsche umsetzt, war bislang erfolglos.
Und beruflich? Weitermachen. Vielleicht bringen Regulas neuer Instagram-Kanal den entscheidenden Kontakt zum Traumjob oder ihr Engagement als Moderatorin von Sensibilisierungs-Workshops zum Thema Hörbehinderung. Ein Happy End ist nur im Film die Regel. Aber Regula ist auf einem guten Weg.

Regula: «Ich glaube, es wird gar nicht anerkannt, dass Menschen wie ich im Job ein Problem haben.» – Fotos: Patrick Lüthy für Pro Audito
Steckbrief
Regula
ist genetisch bedingt schwerhörig. Sie trägt Hörgerät und CI.
Beruflich
hat Regula eine Odyssee von Job zu Job hinter sich.
Zuhause
ist Regula in der Zentralschweiz und mit ihrem Lebenspartner und vier Hunden glücklich.
Am liebsten
hätte Regula das Hörgerät farbig und verziert mit Schmuckelementen.
Auf Instagram
moderiert Regula Sensibilisierungs-Workshops zum Thema Hörbehinderung.
Weitere Informationen
So können Sie helfen
Mitgliedschaft
Werden Sie Mitglied: Sie profitieren von Vorteilen und unterstützen schwerhörige Menschen in der Schweiz. Für 50 CHF im Jahr.
Spenden
Unterstützen Sie uns mit einer Spende: Ob klein oder gross. Ihr finanzieller Beitrag trägt die Arbeit von Pro Audito mit.