Petra (54)
Die hochgradig schwerhörige Petra hat als Rettungssanitäterin täglich mit Notfällen zu tun. Die CI-Trägerin weiss: «Kritische Situationen meistere ich auch ohne intaktes Gehör. Und: Mein Handicap hat auch seine Chancen.»
Petra verbringt ihre ersten Lebensjahre in Griechenland. Weder die griechische Mutter noch der deutsche Vater bemerken ihre hochgradige Schwerhörigkeit. «Sie haben sich gewundert, dass ich so sprechfaul war», erinnert sich Petra. Erst in der Schule in Bonn, wohin die Familie umgezogen war, erkennt eine Lehrerin das Problem.
Die ersten Hörgeräte mit 6 Jahren
Die kleine Petra bekommt ihre ersten Hörgeräte. «Für mich das Schönste auf der Welt. Plötzlich habe ich Geräusche gehört! Ich habe verstanden und konnte mithalten.»
Dank Logopädie und dem konsequent liebevollen Beitrag der Familie holt Petra ihren sprachlichen Rückstand rasch auf. Sie geht gerne in die Schule. Nach bestandenem Fachabitur lässt sie sich zur Krankenschwester ausbilden und geht für ein Jahr in die Schweiz, ans Kantonsspital in Chur. Aus dem einen Schweizer Jahr werden drei und dann immer mehr. Sie arbeitet in Davos, im Oberengadin, im Emmental – und findet schliesslich in der Rettungsorganisation «Schutz & Rettung Zürich» ihr berufliches Daheim.
Hörbehindert im Rettungsdienst?
Die Ausbildung zur Rettungssanitäterin hatte sie berufsbegleitend absolviert. «Ich bin in meiner Freizeit regelmässig in der Ambulanz mitgefahren», sagt Petra. «Und ich habe schon im Praktikum beim Rettungsdienst gemerkt: Das ist mein Ding.»
Hörbehindert und Rettungsdienst – geht das denn? Ein deutliches Ja von Petra Schuh: «Mein Handicap ist auch eine Chance. Ich kann leichter als meine Kollegen die Umgebung ausblenden und mich voll auf die Person konzentrieren, die ich vor mir habe. Und wenn wir Helme tragen und die Verständigung sowieso schwerer wird, rettet es mich geradezu, dass ich gelernt habe, von den Lippen zu lesen.»
Beim Zürcher Rettungsdienst ist Petra Schuh mittlerweile aufgestiegen. Sie leitet ein Team von 33 Mitarbeitenden, hat extra ein Fernstudium zum Thema Management gemacht. «Das war das einzige Mal, dass ich meiner Schwerhörigkeit bewusst Rechnung getragen habe», sagt Petra. «Ich wollte den Vorlesungen folgen können, und das hätte ich bei einem Präsenz-Studium nicht mehr gekonnt.»
Hörgerät, CI und Lippenlesen
So zielstrebig Petra ihren beruflichen Traum verfolgt, ihr Handicap holt sie wieder ein. Es geschieht im Herbst 2009. Vermutlich eine Virusinfektion raubt ihr das Restgehör auf dem linken Ohr. Rechts allein kann sie trotz Hörgerät keine Sprache mehr verstehen. «Ich stand vor dem Nichts. Eine schwerhörige Sanitäterin ist ja schon ungewöhnlich, aber eine taube?» Fieberhaft recherchiert sie eine Nacht lang im Internet über das Cochlea-Implantat; am nächsten Morgen meldet sie sich für die Abklärungen und die Operation an.
«Vorher fand ich den Eingriff immer recht invasiv», erinnert sich Petra. «Aber ich hatte nichts mehr zu verlieren.» Die OP verläuft gut, und mit beharrlichem Üben erlangt Petra schnell ein überdurchschnittlich gutes Sprachverständnis zurück. Ein zweites CI will sie trotzdem nicht; es würde ihr Hörvermögen um nur etwa 5 Prozent steigern. Petra kann mit der Kombination Hörgerät, CI und Lippenlesen den Alltag gut bewältigen.
Systematisch vertieft Petra ihre Kenntnisse im Lippenlesen. Sie nimmt jedes Jahr an einem Intensivkurs von Pro Audito teil. Und lernt sogar Gebärdensprache – für den Fall, dass sie ihr Gehör ganz verlieren sollte.
Akzeptanz
Petra hadert nicht mit ihrem Schicksal: «Ich habe schon früh angefangen, mein Handicap zu akzeptieren. Ich bin überzeugt: Jeder Mensch hat seinen ‹Rucksack› zu tragen. Und nur weil man das vielleicht nicht immer sofort mitkriegt, wie bei mir, heisst das nicht, dass die anderen keinen tragen.»
Steckbrief
Petra
ist hochgradig schwerhörig. Sie erhält mit 6 Jahren ihre ersten Hörgeräte, im Alter von 44 Jahren ein CI.
Zuhause
sein heisst für Petra: Es sich mit genügend geografischem Abstand zum Arbeitsort gemütlich machen und seinem Hobby frönen.
Beruflich
hat sich die gelernte Krankenschwester zur Rettungssanitäterin ausbilden lassen. Sie ist heute im mittleren Kader des Zürcher Rettungsdienstes tätig.
Entspannung
findet Petra beim Musizieren. Sie spielt Klavier, Cello und Posaune.
O-Ton Petra:
Jeder Mensch hat seinen «Rucksack» zu tragen.
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