Marco (51)
Zwei Tage vor seinem 47. Geburtstag erlitt Marco einen Hörsturz. Gleichzeitig lässt ihn ein Tinnitus schier die Wände hochgehen. Eine ausweglose Situation? Keineswegs: Vier Jahre später erzählt der IT-Fachmann, wie ihm die CI-Operation den Lebensmut zurückgab.
Da kam einiges zusammen: Auf einer Ferienreise bricht sich Marco den Oberschenkel und fällt nach einer schwierigen Operation in einem Hamburger Krankenhaus ins Koma. Wie er erwacht, scheint das Schlimmste überstanden. Ein Irrtum, wie sich herausstellen sollte.
Hörsturz …
«Nachts erwachte ich von einem lauten Pfeifen im linken Ohr. Gleichzeitig nervte das Schnarchen des Zimmernachbars. Deshalb war ich erstmal froh, als mein linkes Ohr plötzlich zuging. Endlich Ruhe!» Wie am Morgen das Handy klingelt, nimmt er ab: Stille. Beim zweiten Anruf desgleichen. Marco wechselt intuitiv zum anderen Ohr und erkennt: «Mein linkes Ohr ist komplett taub». Dazu gesellt sich wieder der Pfeifton der Nacht.
Besorgt wendet sich Marco ans Pflegepersonal. Ein kurzer Hörtest bestätigt: Marco hört nur noch auf einem Ohr. Diagnose: Hörsturz. Empfehlung: Abwarten. Bei 70% aller Hörsturzpatienten kommt das Gehör von allein zurück. Die Rega fliegt Marco in die Schweiz, und er liegt weitere drei Wochen im Spital in Winterthur. Freunde besuchen ihn, machen sich Sorgen um den Bruch. Sein Gehör beunruhigt Marco allerdings mehr.
… und dazu ein Tinnitus
Nach der Entlassung hört Marco immer noch nichts. Schlimmer noch: Jetzt, da er wieder auf den Beinen ist, ist auch der Pfeifton in der linken Kopfhälfte zurück. «Du bist fast wahnsinnig geworden», erinnert sich seine Frau Liliane. Also geht Marco zum Ohrenarzt. Wieder heisst es «Hörsturz, Sie können nur abwarten.»
Erst der Hausarzt (den Marco wegen des schlecht verheilenden Bruchs aufsucht) und überweist ihn an die ORL-Klinik in Zürich. Die dort gestartete Kortison-Therapie gibt Marco neuen Mut: «Ich war immer noch fest davon überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ich wieder höre.» Als ihn die behandelnden Ärzte auf eine Studie zum Thema «Cochlea Implantate (CI) bei einseitiger Ertaubung» ansprechen, nimmt Marco das erst nicht besonders ernst. Nur weil man ihm versichert, dass ein CI auch Einfluss auf den Tinnitus haben kann, stimmt er zu, die umfangreichen Aufnahmetests für die Studie mitzumachen.
«Wenn ich morgens im Bett lag, hatte ich keinen Tinnitus. Erst wenn ich aufstand, ging es los. Körperliche Anstrengung, hoher Lärmpegel, Stress – das verstärkte meinen Tinnitus. Jeder Gang nach draussen war für mich Stress pur. Ich bin über alles erschrocken, was von hinten kam.»
Sozialer Rückzug
Marco zieht sich zurück. «Ich vermied Situationen, wo ich nichts verstand und wiederholt nachfragen musste.» Auch seine Frau und seine Tochter mussten sich auf sein Verhalten neu einstellen, weil er auf Anspache oft nicht reagierte. «Zudem war ich immer hässig.» Gemeinsam mit der Familie sucht er nach Lösungen im Internet. Ein Lichtblick: die erwähnte CI-Studie.
Reif für die OP
Marco füllt stapelweise Fragebögen aus, geht einmal in der Woche zum MRI, fährt für Tests nach Zürich, Bern und Konstanz. Immer wieder wird geprüft, ob das linke Ohr tatsächlich taub ist. Aber das Ergebnis war immer das gleiche. Schliesslich kommen die Unterlagen für die Operation. Die darin beschriebenen möglichen Risiken, halbseitige Gesichtslähmung und beschädigter Geschmacksnerv, lassen ihn zweifeln. Doch nach einem Jahr ist Marco reif für die OP. Ihm wird das CI ambulant implantiert. Nach der Operation ist alles in Ordnung, und Marco fühlt sich wohl, bis auf ein vorübergehendes Schwindelgefühl.
Aussergewöhnlich schnelle Erfolge
Endlich kommt der Tag, an dem das CI angeschlossen wird. Marco ist aufgeregt. Er sucht sich ein schwarzes Gerät aus, legt es an, und: «Dann hörte ich das erste Mal mit dem CI. Wahnsinn! Ich musste mich erstmal hinsetzen.» Zunächst hört sich alles fremd an. Aber – und das ist aussergewöhnlich – Marco ist praktisch sofort wieder in der Lage, zu verstehen, was andere sagen. Und der Tinnitus? «Wenn ich mein CI trage, ist der Pfeifton komplett verschwunden. Lege ich es ab, ist der Tinnitus keine zehn Minuten später wieder da.»
Die anfängliche Euphorie flaut etwas ab, als in den ersten Wochen nach der Operation störende Nebengeräusche auftreten. Immer wieder geht Marco zum Experten, um das Gerät neu einstellen zu lassen. Diese Hartnäckigkeit und die Konsequenz, mit der Marco das CI anlegt und das neue Hören übt, zahlen sich aus. Die Tests, die Marco im Rahmen der Studie absolviert, belegen, dass er nach nur drei Monaten Ergebnisse erzielt, die sonst erst nach einem Jahr zu erwarten sind.
Und heute? Marcos Kopf ist jetzt nicht mehr in zwei Hälften geteilt – in eine, die hört, und eine, die nicht hört. Ihm ist egal, dass er in lauter Umgebung weniger versteht, dass er links kaum mehr telefonieren kann und dass er in den Ferien mit seinem CI nicht einfach spontan ins Meer springen kann. Wichtig ist nur: Marco Müller hört wieder 360 Grad. «Für mich hat sich die CI-Operation gelohnt und ich würde sie sofort wieder machen.»
Steckbrief
Marco
ist nach einem Hörsturz einseitig ertaubt und hat einen Tinnitus. Links trägt er ein CI.
Zuhause
ist Marco in Winterthur bei seiner Frau, seiner Tochter und seinem Hund.
Beruflich
ist Marco selbständig unterwegs. Als IT Fachmann arbeitet er viel am Computer.
Entspannen
kann Marco zum Beispiel beim Velofahren oder Sporttauchen. Ausserdem hat ein ein ungewöhliches Hobby: Er geht mit seiner Frau auf mittelalterliche Märkte.
Marco sagt:
«Für mich hat sich die CI Operation gelohnt. Ich würde sie sofort wieder machen.»
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