
Corinne (54)
Harte Landung: Die zwei Jahre als Flugbegleiterin bescheren Corinne ein bleibendes Hörproblem. Die Frage nach dem Warum hält die Reisefachfrau auf Trab.
Corinne verwirklicht nach ihrem Quereinstieg in die Reisebranche einen Traum: zwei Jahre als Flugbegleiterin über den Wolken. Mit 27 kehrt sie zurück ins Reisebüro. Doch das Dröhnen der Flugzeugmotoren will nicht aus ihrem Ohr. «Noch nach einem halben Jahr hatte ich das Gefühl, ich fliege.»
Ein Nachhall der alten Propellermaschinen?
Der Ohrenarzt diagnostiziert einen Tinnitus und eine leichte Hörschwäche. Corinne lässt sich Hörgeräte anpassen und freundet sich schnell damit an, sie konsequent zu tragen. Mit dem Verstehen klappt es gut, und Corinne hofft, dass die Hörschwäche vorübergeht.
Zweifel kommen ihr, als sie nach drei Jahren schon stärkere Hörgeräte brauch. Und es belastet sie, die Ursache des fortschreitenden Hörverlustes nicht zu kennen.
Corinne geht ins Unispital. Doch alle Bluttests bleiben ohne Ergebnis. Dann zur Alternativmedizin: von Akupunktur bis energetische Therapie. Einzig die Kinesiologie zeigt eine Wirkung, wenn auch nicht auf das Hörvermögen. «Sie hatte eine intensive Auseinandersetzung mit mir selbst zur Folge. Das hat mich in meiner persönlichen Entwicklung weitergebracht.»
Oder ist die Ursache psychisch? Corinne spricht mit ihrer Mutter, versucht herauszufinden, ob irgendwann irgendetwas vorgefallen ist. Corinne findet eine Zeitlang keine Ruhe. «Ich will wissen, woher es kommt, denn ich muss das stoppen. Sonst höre ich in ein paar Jahren gar nichts mehr.» Eine Horrorvorstellung. Panikattacken reissen sie aus dem Schlaf.
Vorsicht bei Antibiotika!
Erst im Internet findet Corinne den entscheidenden Hinweis – in einem Beitrag von Pro Audito über ototoxische Medikamente. Diese können bei einer gewissen genetischen Veranlagung zu einem starken Hörverlust führen.
Corinne fällt eine Last von den Schultern. «Als ich das gelesen habe, dachte ich sofort: Das ist meine Geschichte. In meiner Zeit als Flight-Attendant hatte ich ständig Blasenentzündungen. Der Crossair-Arzt meinte, es sei fünf vor zwölf für meine Nieren. Deshalb nahm ich starke Antibiotika. Sie haben meine Hörverlust verschuldet.»
Die Wende nach 9/11
Mit der Zeit beruhigt sich der Tinnitus, ganz ohne Medikamente. Corinne bleibt beruflich am Ball, ab der Geburt ihres ersten Sohnes im Teilzeitpensum. Die Kolleginnen und Kollegen unterstützen sie.
Doch der Hörverlust fordert seinen Tribut. Zu beraten, fällt Corinne immer schwerer, vor allem, wenn die Kunden den Mund verdecken oder nuscheln.
Mit den Anschlägen in New York bricht die Reisebranche zusammen. «Nach 9/11 konnte ich mir nicht mehr erlauben, einen Namen falsch zu schreiben, den ich am Telefon nicht ganz verstanden hatte.» Corinne wechselt in ein Treuhandbüro und dann zu Pro Audito zürich, zunächst als Beraterin.
Mentale Resilienz
Nebenher schliesst sie ein Graphologie-Studium ab und lässt sich zur Mentaltrainerin ausbilden. «Mich hat der Mensch schon immer interessiert», sagt Corinne. «Durch meine Ausbildungen weiss ich: Was im Kopf passiert, ist wesentlich. Ich kann alle meine Probleme der Schwerhörigkeit zuschreiben. Oder ich kann sagen: Jeder Mensch hat Herausforderungen – und ich gehe mit meinen positiv um». Corinnes Motto: «Vorwärts schauen. Lösungen finden.»
Corinne ist mittlerweile rechts praktisch taub und hat links nur noch knapp 10% Restgehör. Seit zwei Jahren setzt sich sie bei Pro Audito zürich als Geschäftsleiterin für Betroffene ein.
Ein Repertoire zum Hören
Corinne kommt mit ihren Power-Hörgeräten gut zurecht. Zu ihrem Alltag gehören die eigene FM-Höranlage, verschiedene Zusatzmikrofone und ein Vibrationswecker. Durch Lippenlesen und Gebärdensprache hat sie ein Repertoire an Fertigkeiten, die ihr das Verstehen in vielen Situationen erleichtern.
«Bei meinem Hörverlust ist es illusorisch, jedes Wort verstehen zu wollen. Ich konzentriere mich auf die Schlüsselbegriffe. Und wenn ich die nicht verstehe, frage ich nach.» Klingt das anstrengend? Den Eindruck hat man nicht bei Corinne. Sie wirkt ausgeglichen und mit der Situation im Reinen.

Corinne: «Ich sage immer: Ein gesunder Körper, der krank wird, wird irgendwann auch wieder gesund.» – Fotos: Patrick Lüthy für Pro Audito
Steckbrief
Corinne
ist auf dem rechten Ohr praktisch taub und hat links nur noch knapp 10% Restgehör.
Ursache
für ihren Hörverlust waren Antibiotika, die sie als Flugbegleiterin gegen ständige Blasenentzündungen nehmen musste.
Beruflich
schlug Corinne den Bogen von der Reisebranche zur Selbsthilfeorganisation.
Nebenher
schloss sie ein Graphologie-Studium ab und liess sich zur Mentaltrainerin ausbilden.
Corinne über Resilienz
«Jeder Mensch hat Herausforderungen. Und ich gehe mit meinen positiv um: Vorwärts schauen, Lösungen suchen.»
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