
Christoph (36)
Wie ein Exot kommt er sich in seiner Heimat im Tiroler Oberland mit seinem Mittelohrimplantat manchmal vor. Doch Christoph kann damit umgehen.
Babys haben weiche Schädelnähte (Fontanellen). Sie erleichtern den Durchtritt durch den Geburtskanal. Bei Christoph aber waren auf der linken Seite alle Schädelnähte offen. Vor 36 Jahren gab es für diese Art von Entwicklungsfehler keine standardmässige Behandlung. «Leg das Kind einfach hin, das wächst sich schon aus», sagen die Ärzte der Mutter.
Das geschieht, aber hat Folgen. Christoph erleidet als Kleinkind acht Mittelohrentzündungen. Mit sieben beginnt das linke Ohr zu eitern, sein Gehör lässt rapide nach. Der Hausarzt therapiert wochenlang an dem Ohr herum, bevor er den Buben überweist. «Gott sei Dank, dass Sie gekommen sind», meinen die Spezialisten in Innsbruck zu Mutter. «Wenn Sie länger gewartet hätten, hätte das Cholesteatom bis ins Hirn hineingewuchert, dann wäre das Kind gestorben.» Dem siebenjährigen Christoph bleibt dieser schockierende Satz im Gedächtnis.
Was ist ein Cholesteatom?
Ein Cholesteatom ist eine chronische Mittelohrentzündung mit Knocheneiterung. Es hatte bei Christoph die knöchernen Teile im Innenohr schon weitgehend aufgelöst.
Christoph bleibt eine Woche im Spital, erhält Infusionen, die die Entzündung unterdrücken, und wird dann endlich operiert. Was von den Gehörknöchelchen übrig ist, wird gereinigt, befallene Teile werden abgefräst. Erste Priorität hat der Erhalt der Cochlea (Hörschnecke). Später folgen zwei weitere chirurgische Eingriffe. Am Schluss liegt Christophs Hörleistung links unter 20 Prozent.
Weder Hörgerät noch CI
Hörgeräte helfen Christoph nicht, denn ab dem Trommelfell ist ja praktisch alles zerstört. Die Spezialisten erwägen ein Cochlea-Implantat, aber verwerfen den Gedanken.
Die Entscheidung gegen weitere Eingriffe fällt auch deswegen, weil Christoph mit dem gesunden rechten Ohr dem Schulunterricht gut folgen kann. Er sitzt immer ganz vorne, mit dem gesunden Ohr zur Lehrperson.
Ohne Hörgerät ist sein Hörverlust nicht sichtbar. Also lernt er, sein Handicap zu kommunizieren. In der Kochlehre wiederholt er jede Anweisung des Küchenchefs, damit dieser weiss, ob er richtig verstanden hat. Ebenso verfährt Christoph bei der anschliessenden Kellner-Lehre.
Ungewohnte Töne
Mitte zwanzig schlägt das Schicksal erneut zu. Christoph erkrankt an einer schweren Hirnhautentzündung. Das CT zeigt im linken Ohr ein weiteres Cholesteatom. Vor der OP legt ihm das Ärzte-Team nahe, sich ein Mittelohrimplantat einsetzen zu lassen. Christoph: «Es war klar, dass die Gehörknöchelchen komplett kaputt waren und ich ohne Implantat nichts mehr hören würde.»
Wie würde es sein, auf dem linken Ohr wieder zu hören? Sechs Wochen nach der OP wird die «Soundbridge» aktiviert. Christoph erinnert sich: «Es war im März, ich hatte eine Jacke dabei. Und wie ich den Reissverschluss hochziehe, bin ich total erschrocken, weil es so laut war.»
Draussen vor dem Krankenhaus hört Christoph seltsame Geräusche von links, das Plätschern eines Brunnens. Sich mit dem neuen «Stereo-Sound» anzufreunden, dauert eine Weile.
Kellnern mit einem Implantat?
Mit einem Hörverlust in der Gastronomie zu arbeiten, ist eine Herausforderung. «Jeder Mensch hat eine andere Aussprache», erkärt Christoph. «Und manchmal muss ich darauf hinweisen, dass man mit mir deutlich sprechen muss.» Viele Fehler darf er sich allerdings nicht leisten. Deshalb hat er sich längst angewöhnt, jede Bestellung zu wiederholen und Rückmeldung einzuholen.
Heute arbeitet er in einem Hotel im Unterengadin. Kellnern ist anstrengend. Wenn er den ganzen Tag konzentriert hinhören muss, klebt er das Implantat zuhause erst mal an den Kühlschrank.
Zukunftspläne
Wie wird das in zehn Jahren sein? Christoph wollte eigentlich schon immer Konditor werden. Jetzt hat er die Konditorlehre nebenberuflich nachgeholt und auch schon die Prüfung bestanden.
Christoph backt leidenschaftlich gerne und auf Profi-Niveau – wie jeder sehen kann, der seinem Back-Blog «the_chorn3r» auf Instagram folgt. «Wenn jemand Torten braucht, bin ich immer zuständig», sagt Christoph nicht ohne Stolz. Sein zweites berufliches Standbein.

Christoph über seine Arbeit im Gastgewerbe: «Je älter ich werde, desto mehr merke ich, dass es anstrengender wird.» – Fotos: Patrick Lüthy für Pro Audito.
Steckbrief
Christoph
hat drei Lehren gemacht, als Koch, Kellner und Konditor.
Aufgewachsen
ist er mit drei Geschwistern auf einem Bauernhof.
Mit 7
beginnt sein chronisch entzündetes linkes Ohr zu eitern.
Mitte 20
muss er sich ein Mittelohrimplantat einsetzen lassen.
Seine Einstellung
«Mir ist lieber, die Leute fragen, als wenn sie nur schauen.»
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