Beat (43)
«Wenn das Leben einen Haken schlägt, dann musst du den Haken mitmachen». Das sagt Beat, der mehr als einen Schicksalsschlag hat hinnehmen müssen.
Beat ist leidenschaftlicher Bergsteiger. Im Alter von 28 Jahren erklimmt er einen Gipfel im Kaukasus. Abends im Wellnesshotel stellt er fest, wie sich sein Gehör links plötzlich komplett verabschiedet. Wenig später wird ihm auch noch schwindlig und übel.
In der abgelegenen Gegend ist natürlich kein Spezialist verfügbar. Der Dorfarzt spült das Ohr einmal kräftig durch in der Meinung, es handle sich um eine Mittelohrentzündung.
Eine fachärztliche Untersuchung findet erst eine Woche später in der Schweiz statt: zu spät für eine erfolgreiche Behandlung des Hörsturzes. Beat ist auf dem linken Ohr taub und leidet an Schwindel.
Beat arrangiert sich mit der Situation, setzt oder stellt sich einfach immer so hin, dass er die Leute mit seinem rechten Ohr verstehen kann. Das geht zehn Jahre lange gut, bis zum zweiten Schicksalsschlag, 2019, auf einem Campingplatz auf Rügen.
Zweiter Hörsturz auf Rügen
Beim Zusammenräumen der Zeltausrüstung bemerkt Beat einen abnormalen Druck im rechten Ohr und einen rapiden Gehörverlust: «Ich wusste genau, was jetzt kommt», erinnert er sich. Die Familie fährt sofort in die Uniklinik in Greifswald, wo der Hörsturz richtig erkannt und versorgt wird.
Auf der 1200 km langen Heimreise hört Beat nicht einmal das Geschrei der anderthalbjährige Tochter im Fond des Wagens. Hat er die Stimmen seiner Familie in diesen Campingferien ein letztes Mal hören können?
Daheim angekommen, machen sie ihm auch im Unispital wenig Hoffnung. «Die Ärzte haben mir sehr deutlich gemacht, dass bei einem fast vollständigen Hörverlust die Wahrscheinlichkeit sehr gering sei, dass sich das Gehör auf ein gutes Niveau erhole.»
Beat kehrt nach sechs Wochen im Mini-Pensum an die Arbeit zurück. Es beginnt für ihn eine schwere Zeit, die er nur dank seiner Familie und vor allem seiner Frau übersteht, die ihn bei allen ärztlichem Terminen begleitet und die Gespräche mitschreibt, ohne die positive Einstellung zu verlieren.
Beat kommuniziert nur noch per E-Mail oder über die Spracherkennung auf dem Handy. Auf der Suche nach einem Ausweg kontaktiert er Pro Audito Winterthur und nimmt Einzel-Lektionen im Lippenlesen. «Ich kann es bis heute noch nicht richtig gut.»
Das Leben wieder hören
Auf ärztliches Anraten entscheidet sich Beat für ein Cochlea Implantat. Man operiert ihn schon knapp drei Monate nach dem zweiten Hörsturz. Er beginnt ein audioagogisches CI-Hörtraining und fasst wieder langsam Fuss im Leben.
Dem Umstand, dass sein Gehirn so rasch wieder Höreindrücke verarbeitet, verdankt Beat wohl sein gutes heutiges Sprachverstehen. Er trägt links ein CI, rechts ein Hörgerät. Diese Kombination funktioniert bestens. Beim letzten Sprachverständlichkeitstest erreicht er fast 100 Prozent, praktisch das Optimum, das man bei einem grossen Hörverlust überhaupt erreichen kann.
Alles picobello?
Im Prinzip schon. Das CI und das Hörgerät sind zur Normalität geworden. «Wie andere morgens ihre Brille aufsetzen, muss ich meine Hörsysteme einschalten, dann bin ich parat für den Tag.»
Aber die Tage sind anstrengender geworden, beruflich wie familiär. Die Kinder müssen ihren Papi immer anschauen, wenn sie gehört werden wollen, und verlieren schon mal die Geduld, wenn er drei-, viermal nachfragen muss und immer noch nicht versteht.
«Wir hatten in der Familie schon einige Schicksalsschläge, mit denen wir zurechtkommen mussten», verrät Beat. «Wir sind inzwischen gut darin, das Beste aus einer Situation zu machen. Etwas nachzutrauern, was nicht mehr geht, macht für mich keinen Sinn. Ich versuche, mich über alles zu freuen, was ich noch kann. Das ist das Wichtigste.»
Und obwohl Beat mit Job und Familie genug um die Ohren hat, arbeitet er im Vorstand von Pro Audito Winterthur. «Das ist mir wichtig und ich mache es gern. Ich habe viel von Pro Audito profitiert und das Bedürfnis, dem Verein etwas zurückzugeben.»
Steckbrief
Beat
trägt sein vier Jahren ein CI und ein Hörgerät.
Zuhause
ist der gelernte Architekt im selbst renovierten Haus seiner Kindheit.
Beruflich
ist Beat im Amt für Städtebau der Stadt Winterthur tätig.
Seine Hobbies
haben mit Bewegung zu tun: Velofahren und Bergsteigen.
Seine Einstellung
«Etwas nachzutrauern, was nicht mehr geht, macht für mich keinen Sinn.»
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