Neulich wurde ich von einem Startup gefragt, ob ich ihnen Feedback zu ihrem Produkt geben kann – und es wurde mir klar, warum mich solche Initiativen immer etwas traurig machen.
Die Idee des Startups: Untertitel, die auch Emotionen und Akzente visuell darstellen, zum Beispiel durch Anpassung der Schriftart und -farbe. Es war ein sehr interessantes Gespräch und ich hatte viel Spass. Und doch dachte ich auf dem Heimweg: Es wird im Bereich Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit viel geforscht. Immer wieder werden kreative Produkte entwickelt. Aber es kommt selten etwas bei uns, den Menschen mit Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit, an. Warum eigentlich?
Ich glaube, das Problem ist,….
…dass das Entwickeln eines Produkt-Prototyps und ein Fragebogen für die Grundlagenforschung eben nur die ersten Schritte einer langen Reise zur eigentlichen Zielgruppe sind. Diese ersten Schritte machen vermutlich den meisten Spass. Wer bastelt nicht gerne kreativ an etwas herum oder fuchst sich in ein interessantes Thema ein? Um Produkte zur Marktreife zu bringen oder Forschungsresultate dazu zu nutzen, in der Welt wirklich etwas zu ändern – zum Beispiel gesetzliche Vorgaben zu erwirken – braucht man allerdings ganz andere Talente. Und die sind am Ende oft viel entscheidender für uns Menschen mit Schwerhörigkeit als die vielen kreativen Ansätze.
Am Beispiel des Startups: Ist ja schön, wenn es Untertitel mit Emotionen gibt. Mein grösseres Problem als Mensch mit Schwerhörigkeit ist aber, dass ich momentan immer noch oft überhaupt keine Untertitel habe. Und das liegt nicht daran, dass es technisch nicht möglich oder so schwer zu verstehen ist, dass Menschen mit Schwerhörigkeit Untertitel brauchen. Das liegt daran, dass es für den jeweiligen Anbieter der Inhalte keine Priorität hatte, Untertitel bereitzustellen.
Prioritäten erhöht man nur durch Überzeugungsarbeit
Und durch gesetzliche Vorgaben. Diese Überzeugungsarbeit ist wichtig, aber eben weit weniger spannend, als coole Produkte zu entwickeln oder Forschung zu betreiben. Sie erfordert Geduld und Hartnäckigkeit. Als Mensch mit Schwerhörigkeit möchte ich deshalb alle Menschen, die diese Art der Überzeugungsarbeit leisten, dafür feiern. Ohne gemeinnützige Organisationen (wie auch die Pro Audito Schweiz), die sich für unsere Inklusion einsetzen, wären wir nicht so weit wie, wir heute sind. Ich danke euch.
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Wer ist Helga Velroyen?Das bin ich, Helga. Ich bin Anfang 40, verheiratet und wohne in München. Ich bin schwerhörig und seit 2008 Hörgeräteträgerin. Als ich meine ersten Hörgeräte bekam, habe ich viele Dinge übers Hören und die Geräte nicht gewusst, die ich im Nachhinein gerne gewusst hätte. Damit es anderen nicht so geht wie mir damals, habe ich einen Blog (www.doofe-ohren.de) ins Leben gerufen und schreibe als Kolumnistin für das Magazin Dezibel von Pro Audito. In meinem „richtigen“ Leben bin ich Software-Entwicklerin bei Google. |