Unsichtbare Untiefen
Seit ich schwerhörig bin, habe ich viel übers Hören gelernt. Mit meinen gut angepassten Hörgeräten ist mein Hörverlust versorgt. Dennoch gibt es Situationen, die für mich schwierig sind. Für Aussenstehende ist das schwer zu erkennen.
Neulich war ich auf einer Party bei einer Freundin daheim. Ich sass mit einem Teller Nudelsalat in einer Ecke. Eine Bekannte der Gastgeberin setzte sich zu mir und versuchte, mit mir ein Gespräch anzufangen. Leider war es mir kaum möglich, sie vor all den Hintergrundgeräuschen zu verstehen. Nach einer Weile antwortete ich nur noch einsilbig und konzentrierte mich auf mein Essen. Die Bekannte suchte sich einen anderen Gesprächspartner.
Eine Woche später treffe ich die Party-Gastgeberin wieder, in einem kleinen Cafe am Stadtrand. Nach einer Weile kommt zufällig die Bekannte von der Party dazu. Diesmal kann ich am Gespräch teilhaben, denn die akustische Situation hier kommt mir entgegen. Wir verquatschen uns und die Zeit vergeht wie im Flug.
Als wir aufbrechen, meint die Bekannte zu mir “Nach der Party dachte ich, du magst mich nicht. Du warst wie ein anderer Mensch.” Ich erkläre ihr, dass das nicht meine Absicht war, sondern dass ich schwerhörig bin und dass trotz Hörgeräten manche Situationen schwierig sind.
Ich nehme ein Bild zur Hilfe: Ich schwimme in einem See. An der Oberfläche sieht man nur meinen Kopf und es scheint mir gut zu gehen. Was man nicht sieht, ist was unter der Wasseroberfläche passiert. Ob der See so seicht ist, dass ich mit den Füssen auf dem Boden stehen kann, oder ob ich mich durch Schwimmbewegungen an der Oberfläche halten muss. Vielleicht gibt es sogar Strömungen, gegen die ich aktiv antreten muss. Schlimmstenfalls gibt es noch ein Monster am Grund des Sees, das mit seinen Tentakeln an meinen Füssen zerrt. Parties sind mein persönliches Unterseemonster. Die Bekannte muss bei meinem Vergleich schmunzeln, sie erkennt das Problem. Sie bedankt sich für meine Offenheit und verspricht, das nächste Mal mehr auf die Akustik zu achten.
Zwei Minuten später treten wir auf die Strasse. Wir gehen noch ein Stück zusammen Richtung U-Bahn. Der Verkehrslärm macht die akustische Situation für mich wieder schwierig. Und die Bekannte plaudert einfach weiter, als wäre nichts gewesen.
Helga Velroyen
Wer ist Helga Velroyen?Das bin ich, Helga. Ich bin Ende 30, verheiratet und wohne in München. Ich bin schwerhörig und seit 2008 Hörgeräteträgerin. Als ich meine ersten Hörgeräte bekam, habe ich viele Dinge übers Hören und die Geräte nicht gewusst, die ich im Nachhinein gerne gewusst hätte. Damit es anderen nicht so geht wie mir damals, habe ich einen Blog (www.doofe-ohren.de) ins Leben gerufen und schreibe als Kolumnistin für das Magazin Dezibel von Pro Audito. In meinem „richtigen“ Leben bin ich Software-Entwicklerin bei Google. |